Kapitel 1 – Hamsterkäufe


Eigentlich wollte ich nur Katzenfutter kaufen. Ist das nicht ein interessanter Einstieg in eine Geschichte? Ein Mann zog los um Katzenfutter zu kaufen und ahnte noch nicht, dass sich sein Leben dadurch grundlegend verändern würde. Zugegeben, es klingt wie eine dieser modernen Überschriften von Newsartikeln auf Social-Media Seiten, deren einzige Daseinsberechtigung es ist, ahnungslose User durch schmackhafte Ausschmückung eines langweiligen und banalen Artikels, auf sich aufmerksam zu machen. Aber sollte ich Lügen? Ich erzähle hier eine Geschichte, die sich genau so zugetragen hat. Genauso. Zumindest so, wie ich mich daran erinnere. Wer glaubt, dass ich hier Märchen von mir gebe, soll mir erst einmal das Gegenteil beweisen. Also… eigentlich wollte ich nur Katzenfutter kaufen. Das war alles. Das war der Plan. Einen anderen Zweck hatte mein Ausflug zur Orts-ansässigen Kleintierhandlung nicht. Katzenfutter. Nicht für mich, sondern für meine Katzen, versteht sich. Ich stand also kurz davor, das Ladengeschäft zu betreten und die einsame Dame hinter der einzigen Kasse zu begrüßen, die selbstverständlich gehorsam zurückgrüßen würde. Ein reiner Höflichkeitsablauf. Denn genaugenommen kannte ich die Dame an der Kasse nicht und außerdem, jedes Mal wenn ich diesen Laden betrat, könnte ich schwören, dass dort eine andere Dame hinter der Kasse stand. Die Tatsache, dass man nicht umhin kommt, die Kassiererin zu Grüßen, verdankt der Laden dem Umstand, dass die Kasse direkt neben der Ein- und Ausgangstür platziert war und man an ihr so oder so vorbeigehen musste, um direkt zur Hunde- und Katzenabteilung zu kommen. Mir stand es zwar frei, direkt nach Betreten des Ladens nach rechts zu gehen, aber mit dem Ziel des Erwerbs von Katzenfutter vor Augen, erscheint es doch etwas sinnlos erst durch die Kleintierabteilung zu watscheln, bis man schließlich doch wieder im Gang landet, in dem die Kasse stand – nur halt weit dahinter. Allerdings darf man nicht außer Acht lassen, dass dies ein äußert guter Plan ist, wenn man die unbekannte Dame hinter der Kasse halt nicht grüßen möchte um ein freundschaftliches Verhältnis vorzugaukeln. Schweigend könnte man den Laden betreten, sofort nach rechts abbiegen, durch die Kleintierabteilung schlendern, dann, nachdem man diesen Umweg genommen hat, könnte man in den Gang mit der Kasse gucken – natürlich erstmal nach links und rechts schauen, ob jemand zurück guckt – und schließlich wieder auf den richtigen Kurs, in Richtung Katzenfutter, gehen. Also dachte ich mir, dass ich es heute ganz genauso machen würde. Kein geheucheltes Hallo, kein zunicken, ich betrete den Laden, tue so als würde ich die Kasse gar nicht bemerken, mache den Umweg durch die Kleintierabteilung, gucke mir dabei noch vorgespielt interessiert die Hamster, Hasen und Meerschweinchen an – damit niemand verdacht schöpft, dass ich dort eigentlich völlig fehl am Platze bin – und gehe dann anschließend erst zum Katzenfutter. Das war ein guter Plan. Ich betrete also den Laden, blicke zur Kasse, die dort abgestellte Angestellte lächelte mich an und begrüßte mich freudig. Also grüßte ich natürlich höflich zurück und obwohl mir sofort klar war, dass ich somit meinen gesamten Plan zunichte gemacht hatte, bog ich, im vollem Bewusstsein darüber, dass ein weiteres befolgen meines mir selbstauferlegten Plans zur Vermeidung einer heuchlerischen Begrüßungsgeste völlig unnötig war, nach rechts in die Kleintierabteilung ab.

Ein kleines Mädchen kniete vor dem Käfig, in dem die flauschigen Kaninchen mit den langen Schlappohren darauf warteten, von einen unvorbereiteten Unfugmacher, der es endlich geschafft hatte Mami und Papi zu einen Haustier zu überreden, adoptiert zu werden und die weibliche Erziehungsberechtigte von gleicher Genabstammung machte allein durch ihre Mimik keinen Hehl daraus, dass es sie so gar nicht interessierte, was für einen schlappöhrigen Mümmelmann ihr Nachwuchs schließlich als den ihren auserkoren hatte. Ich schätze mal, die Dame ist froh, wenn sie ihre Ruhe hat und zuhause wird das Kind dann wieder mit den nachmittäglichen Fernsehprogramm ruhig gestellt, während der Hase vergessen und als alt und uncool abgestempelt in einer dunklen Ecke des Kinderzimmers versauert, in der Hoffnung einmal im Jahr aus dem viel zu kleinen Käfig gelassen zu werden.
„Den da!“ schrie die baldige Häschenbesitzerin auf und deutete auf einen besonders langohrigen, grauen Häserich mit weißem Bommelschwanz. Sofort tanzte eine dieser Verkäuferinnen des Kleintierhändlers an, die immer nur dann in Erscheinung treten, wenn jemand eine größere Investition tätigen möchte. Es ist fast so, als befänden sich die Angestellten, von der Dame an der Kasse mal abgesehen, solange im Chameleonmodus, bis sie die Witterung von Geldscheinen aufnehmen um dann sofort sichtbar zu werden und plötzlich neben dir zu stehen. Ein besonderer Trick dieser Gattung Verkäufer ist es übrigens, sich direkt an das Kind zu richten und mit dem Elternteil nur das Finanzielle zu regeln. Wobei man dies bei dem Desinteresse der Lebensspenderin, welche die halbe Zeit im Laden damit beschäftigt war auf ihr Smartphone zu gucken, durchaus nachvollziehen konnte. Ich beobachtete aufmerksam, wie die Verkäuferin dem Kind einen sehr teuren Käfig ans Herz legte, was ihre Mutter übrigens beiläufig mit einem Nicken – welches eher ist mir doch egal, als ja bedeutete – quittierte, diverses Kleintierzubehör dazu packte und schließlich, wie der kleine graue Hase aus dem Käfig genommen, in einen Pappkarton gesteckt und dem Mädchen in die Hand gedrückt wurde. Offensichtlich überglücklich schlenderte das Mädchen nun mit dem zum Leben im Exil verurteilten Nagetier, ihrer anteilslosen Mutter und einem Einkaufswagen mit samt Käfig und Zubehör, in Richtung Kasse, wo die Kassiererin schon auf sie wartete und sie freudig begrüßte. Kurz blickte ich den beiden noch hinterher, dann wandte ich mich wieder um. Ich stand jetzt völlig allein in der Kleintierhaltung. Die Verkäuferin war wieder im Chameleonmodus und versteckte sich wohl getarnt vor mir, im Wissen, dass ich wohl kein Kaninchen für mich erwerben mochte. Ich schaute mich noch einmal um, sah in die verschiedenen Käfige, entdeckte ein Meerschweinchen, welches große Ähnlichkeit mit dem Meerschweinchen hatte, welches ich als Kind besaß – aufmerksame Leser könnten jetzt den Rückschluss ziehen, dass ich bei der Beschreibung um die mögliche Zukunft des kleinen grauen Kaninchens, auf persönliche Erfahrung zurückgegriffen habe. Das werde ich an dieser Stelle weder kommentieren noch dementieren – und erinnerte mich daran, wie ich als Kind mein erstes Haustier erworben hatte. Allerdings muss ich zugeben, dass meine Eltern wesentlich aufmerksamer waren, als das eben in Erscheinung getretene Erzieherexemplar. Zumindest war dies in meiner Erinnerung so gewesen. Ich ging weiter, an den Hasen und Meerschweinchen vorbei, warf im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick zu den Mäusen, Ratten und Chinchillas und war fast im Begriff die Abteilung zu verlassen, um endlich zum Katzenfutter zu gelangen, als mich plötzlich jemand ansprach.
„Hallo.“
Ich blickte mich um, um zu überprüfen, ob nun schließlich doch einer jener getarnten Verkäufer meinen langen Aufenthalt in der Kleintierabteilung als Wunsch, mir ein Nagetier zu kaufen, auffasste und sich zu erkennen gab. Doch ich stand nach wie vor alleine Im Gang, zwischen Hasen, Mäusen, Hamstern und…
„Hallo.“
Ich blickte über den Gang hinaus, ob jemand hinter einem der Regale stand und mit mir kommunizieren wollte. Doch als ich mich auf die Zehenspitzen stellte, konnte ich im gesamten Teil des Geschäfts nur die Dame an der Kasse sehen, die mir sofort freudig zuwinkte, als sie meinen Kopf hinter dem Regal zum Vorschein kommen sah. Ich nickte ihr mit erzwungenem Grinsen zu und stellte mich wieder normal hin.
„Hallo.“
Jetzt kam ich mir doch ein wenig verarscht vor. Ich öffnete sogar die Tür zum abgeschlossenen Raum, wo die Wellensittiche, Kanarienvögel und sonstigen gefiederten Tiere darauf warteten, von einen Käfig in den nächsten transportiert zu werden. Vielleicht war es ja ein Papagei, der hier seine Imitation einer menschlichen Begrüßung zum Besten gab und mich dabei in die Irre führte. Aber dort war kein Papagei zu sehen und insgesamt hörte ich so allerlei Gepiepe und Gezwitscher heraus, aber kein gesprochenes Wort. Ich schloss die Türe wieder und wollte die Sache damit auf sich beruhen lassen und schließlich zum Katzenfutter gehen, da hörte ich die Stimme sagen: „Hier unten bin ich, du Vollpfosten!“
Mein Blick senkte sich auf einen Glaskasten direkt vor mir und ein kleiner, flauschiger, schneeweißer Hamster starrte zurück. Ohne einen Gedanken zu fassen, beobachtete ich den kleinen Nager und wollte nicht in das Klischee fallen, welches in jeden Hollywoodfilm mit sprechenden Tieren vorkam. Ich würde ganz Gewiss dieses Tier nicht fragen, ob es gerade mit mir gesprochen hat. Das wäre ja totaler Blödsinn. Nein, ich wartete einfach, was als nächstes passieren würde, ohne selbst etwas zu tun. Ich stand dort also vor dem Hamsterkäfig und es sah aus, als würde ich mit der weißen Plüschkugel einen Wer blinzelt zuerst-Kontest austragen.
„Willst du auch was sagen, oder starrst du mich nur weiter so blöd an?“ fragte der Hamster plötzlich und riss mich aus den Gedanken.
Stumm zeigte ich mit den Fingern auf mich, was der Hamster mit einen „Kannst du nicht reden?“ quittierte.
„Ich… ähm…“ stammelte ich und blickte mich um, ob mich jemand beobachtete „doch… ich kann reden.“
„Hallo.“ Sagte der kleine Hamster abermals und legte nun seine Pfoten auf die Frontscheibe seiner Unterbringung.
„Hallo“ antwortete ich knapp und fügte ungläubig hinzu „ist das ein Scherz?“
„Was?“
„Ein sprechender Hamster“ fuhr ich fort und deutete auf das Nagetier, damit es auch genau wusste, dass ich es damit meinte „das kann doch nur ein Scherz sein! Ist das hier versteckte Kamera?“
Womit mir sofort bewusst wurde, dass ich ein Mensch triff auf sprechendes Tier-Klischee nur durch ein anderes ersetzt habe. Man soll mir eine Geschichte mit einem ungläubigen Protagonisten, der auf so ein Ereignis stößt, zeigen, wo die erste Reaktion nicht die Frage nach einer Fernsehshow mit versteckter Kamera ist. Aber nun kann ich es auch nicht mehr ändern. Dann bin ich halt ein Klischee. Ich blickte nun auf die Regale, die sich zum verstecken von Kameras natürlich anbieten würden, konnte aber nichts erkennen. Mein Blick wanderte zurück zu dem Hamster, der immer noch an der Scheibe stand und mich aufmerksam und offensichtlich belustigt beobachtete.
„Und wenn wir uns alle beruhigt haben, können wir aufhören uns wie Verrückte zu benehmen und diese Konversation fortführen“ sagte der Hamster und ich begriff schließlich, dass dies kein Scherz, kein Streich, keine Einbildung war. Da war ein Hamster und er sprach mit mir.
„Was…“ fuhr ich fort und bückte mich etwas, so dass mich auch ja niemand hinter den Regalen sehen konnte „was kann ich für dich tun?“
„Kauf mich“ antwortete das Nagetier kurz und knapp.
„Ich soll dich kaufen?“
„Ja, kauf mich.“
Ich überlegte kurz, wie ich darauf antworten sollte. Man sollte schließlich bedenken, dass ich nicht im Laden war um mir ein neues Haustier zuzulegen.
„Warum soll ich dich kaufen?“ fragte ich schließlich, im Glauben, dass es besser wäre, erstmal etwas über die Beweggründe des Nagers herauszufinden.
„Hast du das Kind eben nicht gesehen, welches den armen Hasen gekauft hat? Meinst du ich will bei so einem Kind enden? In einen viel zu kleinen Käfig, ohne Aufmerksamkeit, von der Gleichgültigkeit der Mutter bestraft, bis ich schließlich verrecke? Nein danke. Da nehme ich mein Schicksal doch lieber selbst in die Hand.“
Ich ging diese Worte Stück für Stück in meinem Kopf durch. Aus der Sicht eines Nagetiers, machte das durchaus Sinn. Aber was rede ich da? Aus der Sicht eines Nagetiers. Ich schien den Umstand, dass ich gerade mit einer anderen Spezies redete, als der meiner eigenen, als sei es das selbstverständlichste auf der Welt, ziemlich schnell akzeptiert zu haben. Ich wollte gerade antworten, dass ich eigentlich keinen Hamster kaufen wollte, dass ich schon zwei Katzen zuhause habe, dass ich auch genau genommen keinen Platz für ein weiteres Haustier habe, es mir vermutlich nicht mal leisten könnte, dass ich bestimmt nicht der beste Besitzer der Welt sein würde und vermutlich nur das günstige Trockenfutter aus dem Supermarkt kaufen würde, doch bevor ich auch nur eines dieser Argumente aussprechen konnte, tippte mir etwas auf die Schulter. Die Verkäuferin, die eben noch den kleinen grauen Hasen in die ewige Verdammnis verbannt hatte, grinste mir freundlich ins Gesicht.
„Süß der kleine, oder?“ sagte sie und mir wurde ganz anders. Dass sie jetzt vor mir erschienen ist und mich auch noch ansprach, konnte nur eines bedeuten: Ich habe mich bereits für den Kauf des Hamsters entschieden. Ich wusste es nur noch nicht.


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Michaela
Michaela
7 Jahre zuvor

Zuerst mal: sehr witzig und lebendig geschrieben. Ich konnte mir die Szenerien gut vorstellen.
Aber: der Part, wo welcher Gang wen warum wohinführt – das zieht sich in die Länge und ist verwirrend. Mich brachte es fast aus der Geschichte raus.
Doch in bin gespannt, wie es weitergeht!

Geronimo
Geronimo
7 Jahre zuvor

Extrem unterhaltsam! Ich freue mich ebenfalls schon auf weitere Geschichten vom Hamster.

zitronenfalter
zitronenfalter
7 Jahre zuvor

jetzt will ich einen hamster haben! einen sprechenden!

Tobias K.
Tobias K.
7 Jahre zuvor

Ich kann mich dem Lob nur anschließen. Ein lustiger Einstieg! Ich hoffe da kommt noch mehr!

Golf6Turbo
Golf6Turbo
7 Jahre zuvor

Keine Ahnung wie und warum ich gerade darauf gestoßen bin aber es hat mir gefallen erinnert mich ein wenig ans Känguru

Marius
Marius
7 Jahre zuvor

GENIAL! HAHAHAHA!